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"Von der Ausgrenzung zur Umarmung"

Der inklusive Ansatz von Miroslav Volf


Die theologische und interdisziplinäre Diskussion zu Vielfalt, Inklusion und Teilhabe wurde und wird weltweit geführt. Gerne stelle ich einen Ansatz vor, den ich als sehr wertvoll erachte. Es handelt sich um Überlegungen von Miroslav Volf, die er 1996 in einer viel beachteten Publikation festhielt[1].

Der Kroate Miroslav Volf gilt als ein bedeutender theologischer Vordenker zu Inklusion beziehungsweise Überwindung von Exklusion[2]. Er argumentiert von der Trinität Gottes und dem Versöhnungshandeln Gottes im Kreuzesgeschehen her dafür, inklusives, versöhnendes Handeln bei Gottes eigener solidarischer und aufopfernder Selbsthingabe an die Menschen zu verorten (2012:9-33). Volf betont dabei in Bezug auf die bedingungslose Selbsthingabe Gottes, dass sich Gott sogar denen liebevoll zuwandte, die ihm feindlich gesinnt waren. Volf fokussiert darum auf der Grundlage einer christlichen Identität der Versöhnung die Bedeutung gegenseitiger Annahme. Dabei lehnt er sich vor allem an die Parabel des verlorenen Sohnes (Lk 15,11-32) und die Aufforderung des Paulus an die Christen in Rom an: „Darum nehmt einander an, wie auch Christus uns angenommen hat, zur Ehre Gottes“ (Röm 15,7)!

Miroslav Volf (2012:66-76) steht dem Inklusionsbegriff nicht zuletzt aufgrund soziopolitischer Überlegungen und angesichts seiner Anfragen an die Systemtheorie kritisch gegenüber. Die Diskussion um Inklusion im westlichen Kontext suggeriert für Volf zu stark den Nutzen von Gleichheit sowie die Aufhebung von unterschiedlichen Grenzen, ohne darauf hinzuweisen, dass das Fehlen von Grenzen auch Willkür bedeuten und wiederum negative Folgen haben kann. Auch aufgrund der Definitionsunschärfe von Inklusion verwendet Volf lieber den Begriff „Umarmung“ (Englisch „embrace“) (:30-33). Er fasst seine Ausgangslage unter Rückgriff auf die Metapher der Umarmung und obige Zusammenhänge zum Beispiel so zusammen:

„Der Wille, uns an andere hinzugeben und sie ,anzunehmen', unsere Identität anzupassen, um ihnen Raum zu geben, geht jedem Urteil über andere voraus, außer sie in ihrem Menschsein anzuerkennen“ (Volf 2012:31).

Folglich sieht Miroslav Volf insbesondere das inklusive Handeln der Christen in Kirche und Gesellschaft unter anderem durch Zugehörigkeit trotz Unterschiedlichkeit (2012:37-64), eine versöhnte Beziehung zwischen den Geschlechtern (:218-251) sowie durch Wahrheit und Gerechtigkeit, Gewaltlosigkeit und Frieden begünstigt und bestätigt (:255-410). Zugleich warnt Volf aber vor einem undifferenzierten, idealistischen Inklusionsverständnis, das nötige Unterschiede und Ordnungen ignoriert (:57-98). Bereits zu Beginn seiner Argumentation hält Volf darum fest: „Innerhalb sozialer Zusammenhänge kann man weder Wahrheit noch Gerechtigkeit erreichen ohne den Willen, den anderen zu umarmen“ (:31). Er fügt aber differenzierend an, „dass die Umarmung selbst – vollständige Versöhnung – nicht stattfinden kann, bevor die Wahrheit gesagt worden und Gerechtigkeit geschehen ist“ (:31). 

Miroslav Volf stellt einen theologisch und interdisziplinär bemerkenswerten Ansatz vor. Die Überlegungen lassen sich größtenteils auch auf Kontexte außerhalb der Kirche beziehungsweise auf die Gesellschaft insgesamt übertragen. Es lohnt sich darum, Volfs Argumentationen zu verinnerlichen und an konkreten Situationen weiterzudenken.

Wo Menschen oder Gruppen benachteiligt oder ausgegrenzt werden, sind deren Inklusionsprozesse oft ebenfalls Versöhnungsprozesse. Versöhnung kann also eine Bedingung sein, um zu einer Gemeinschaft dazuzugehören, wenn auch eine unter anderen. Vielerorts bedarf es diesbezüglich Versöhnungsprozesse 1. mit Überzeugungen oder Haltungen (Reflexion, Aufarbeitung und Neuorientierung), 2. mit Personen oder Gruppen (zum Beispiel Menschen mit Beeinträchtigung, Personen mit Mitgrationshintergrund, LGBTQIA+) und 3. eine Auseinandersetzung mit der Frage, wie diese Menschen erstmals oder wieder Zugang zur Gemeinschaft erhalten und diese auch aktiv mitgestalten können. Dafür braucht es meistens alle Beteiligten. Es reicht nicht, dass sich nur eine Seite (in der Regel eine Mehrheit) um sogenannte „Betroffene“ (mehrheitlich Minderheiten) bemüht. Brücken baut man mit wenigen Ausnahmen von zwei Seiten! Oder in Anlehnung an Volf: Eine versöhnte Umarmung braucht ein Gegenüber. Entsprechend sind Prozesse auf Augenhöhe nötig. Inklusion ist somit ein vielschichtiger und anspruchsvoller Weg, der alle Parteien stark herausfordern und allen einiges abverlangen kann.
 

Ein überarbeiteter und ergänzter Auszug aus Merz, Oliver 2017. Vielfalt in der Kirche? Der schwere Weg der Inklusion von Menschen mit Behinderung im Pfarrberuf. Bd. 1. Interdisziplinäre und theologische Studien. Berlin, Münster, Wien, Zürich & London: LIT Verlag, S.54-55, ISBN-Nr. 978-3-643-80251-4. Ausschreibung im Internet: https://www.lit-verlag.de/isbn/3-643-80251-4. Der Abdruck erfolgt mit Genehmigung des Verlags.
 

Endnoten:

[1] Miroslav Volf ist Professor an der Yale University in New Haven und Direktor des Yale Center for Faith and Culture.
[2] Es ist darauf hinzuweisen, dass Miroslav Volfs Ansatz nicht unwesentlich von seiner Biografie geprägt ist. Er wuchs im ehemaligen Jugoslawien auf und erlebte die politischen und ethnischen Konflikte, worauf er bereits eingangs seines Werkes Bezug nimmt (2012:9-18). Diese biografische Prägung und deren teilweise Offenlegung unterstreicht die soziopolitischen Akzentuierungen in Volfs Ansatz und macht diese nachvollziehbarer.
 

Quellen:

Die Bibel: Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. Überarbeitete Ausgabe. Stuttgart: Katholische Bibelanstalt, 2017.

Volf, Miroslav 1996. Exclusion and embrace: a theological exploration of identity otherness, and reconciliation. Nashville: Abingdon.

Volf, Miroslav 2012. Von der Ausgrenzung zur Umarmung: Versöhnendes Handeln als Ausdruck christlicher Identität. Übers. und hg. von Tobias Faix, Thomas Weißenborn & Peter Aschoff. Marburg an der Lahn: Francke.


Foto: © Oliver Merz.

 

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