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Inklusion und Friedensförderung im und durch Sport

Angedacht zum Weiterdenken


1. Sport als Erziehungsmittel für Solidarität und Fairplay

Sepp Blatter, der ehemalige Fifa-Präsident, sagte einmal in einem Interview: "(…) wenn alle nach sportlichem Fairplay leben würden, sähe es besser aus auf der Welt" (Vonlanthen 2021, 11).

Noch konkreter wurde bereits einige Jahre vorher Adolf Ogi, Alt Bundesrat: "Als UNO-Sonderberater hat alt Bundesrat Adolf Ogi sieben Jahre lang den Sport weltweit als Schule des Lebens und Mittel zum Frieden propagiert. '(…) ich glaube, man hat bei der UNO erkannt, dass neben Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Religion mit dem Sport noch ein weiteres Element vorhanden ist, das helfen kann, die Millenniums-Ziele zu erreichen, die wir im Jahr 2000 für 2015 definiert haben. Leider sind wir bis heute noch nicht 'on track'. Deshalb braucht es neue Kräfte und Instrumente – so auch den Sport – die zu einer besseren, friedlicheren, geordneteren und terrorfreien Welt beitragen können. (…) Nicht nur bei der Friedenspromotion kann der Sport eine wichtige Rolle spielen, sondern auch bei der Förderung der Erziehung, Gesundheit und weiteren Aspekten der Entwicklung. Sport ist eine Lebensschule. Im Sport lernt man zu siegen, ohne zu denken, man sei der Beste. Man lernt zu verlieren, ohne zu denken, das sei nun das Ende. Man lernt, Gegner und Spielregeln zu respektieren und Richterentscheide zu akzeptieren. Man lernt Integration, Solidarität und Fair Play. Ich denke, dies wird in Afrika, Asien und Südamerika sehr wohl begriffen. In Europa und Nordamerika leider noch nicht wirklich'" (Schmid 2007).

Damit ist Ogi nicht zuletzt auf der Linie der christlichen Tradition und prägenden Theolog:innen für eine inklusive Kirche und Gesellschaft wie beispielsweise Miroslav Volf oder Jürgen Moltmann. Solidarität und gegenseitige Annahme bei gleichzeitigem Belassen der individuellen Freiheit ist ein Zeichen der geglaubten und erhofften Versöhnung am Ende aller Zeiten (vgl. z.B. Noss 2019, 232-233). Hier klingt beispielsweise ein Pauluswort aus dem Brief an die Christen in Rom an: "Darum ehrt Gott, indem ihr einander annehmt, wie Christus euch angenommen hat" (Römerbrief 15,7).

2. Sport als Inklusionsmotor und Beispiel gelungener Teilhabe

"(…) 'Sport ist ein Inklusionsmotor' sagte DBS-Präsident Beucher, der auf den Lebensweg von Alhassane Baldé verwies, der durch den Sport seine gesellschaftliche Teilhabe erreicht habe" (Deutschlandfunk.de 2019). Dies deckt sich beispielsweise auch mit der Erfahrung von Nelson Ferreira. Für den ehemaligen Profifußballer beim FC Thun war sein Fußballklub entscheidend, dass er sich als junger Migrant rasch in der schweizerischen Gesellschaft einleben konnte. Der Sport wirkte quasi inkludierend. Das erzählte er an einer Kaderveranstaltung der Heilsarmee Flüchtlingshilfe HAF in der Stockhorn-Arena in Thun am 4. April 2018.

Grundsätzlich ist der Sport geprägt von Toleranz, dem Wahrnehmen, Verstehen und Anerkennen der menschlichen Unterschiedlichkeit (Herkunft, Geschlecht, Beeinträchtigung etc.). Zugleich ist es auch die Aufgabe des Sports, die Grenzen der Toleranz zu wahren, wo das Leben und die Würde des anderen missachtet und gefährdet wird. Dort gilt es im Sport ähnlich wie in der Kirche "die Stimme zu erheben und die Verletzung der Würde und den Missbrauch der Freiheit zu verurteilen“ (Noss 2019, 259). Oder nochmals mit Peter Noss gesprochen: "Versöhnung und Hoffnung werden durch konkrete, persönliche und soziale Liebe verbreitet“ (, 232).

Insbesondere "dem organisierten Sport wird eine Vorbildfunktion zugesprochen – etwa im Blick auf die Teilhabemöglichkeiten in Sport und Spiel sowie in den Strukturen des organisierten Sports" (Noss 2019, 220). Dass dies die Gefahr in sich birgt, den Sport und insbesondere sportliche Großveranstaltungen zu instrumentalisieren, politisieren oder als "Quasi-Religion" zu missbrauchen, ist bekannt (vgl. z.B. Jucker 2022). Nichtsdestotrotz kann der Sport erwiesenermaßen, ähnlich wie die Kirche einen gesellschaftlichen Beitrag leisten, indem er Diskussionsprozesse anstoßen und begleiten sowie Beispiele gelungener Teilhabe schon heute lebt (Noss 2019, 259).

3. Vom mitunter problematischen Verhältnis von Sportleri:innen und der Kirche

Einerseits wird dem Sport in der Gesellschaft eine friedensfördernde und inkludierende Wirkung beigemessen. Andererseits beklagen sich viele Sportler:innen über ihre herausgeforderte Teilhabe in christlichen Kirchen. Dies wird zwar je nach Sportart und anderen Faktoren unterschiedlich sein und verschiedene Gründe haben. Zum Beispiel finden zahlreiche Wettkämpfe an Wochenenden statt, was insbesondere den sonntäglichen Gottesdienstbesuch für Sportler:innen erschwert.

Mit Inklusion wird aber gerade auf die Notwendigkeit systemischer, struktureller Veränderungen hingewiesen. Von der Sensibilität für die gegebene Vielfalt und Verschiedenheit sowie unterschiedliche Bedürfnisse der kirchlich Sozialisierten oder Interessierten über Know-how zu einer inklusiven Kirchenentwicklung und "Kirche mit Willkommenskultur" bis hin zum Willen für Anpassungen der kirchlichen Praxis ist vieles für eine gelingende Inklusion von Sportler:innen in Kirchen nötig. Wie bei anderen Einzelpersonen und Gruppen braucht es aber auch hier deren eigenen möglichen Beitrag. Dabei geht es auch um gegenseitige Rücksichtnahme. Wiederum wird man an einen Text aus dem Römerbrief erinnert: "Jeder von uns soll auf den anderen Rücksicht nehmen und danach fragen, was gut für ihn ist und was ihm im Glauben weiterhilft“ (Römerbrief 15,2).

4. Ausblick

Dass zahlreiche Sportler:innen auf aus der persönlichen Spiritualität und religiösen Gemeinschaft Ressourcen für ihre sportliche Tätigkeit schöpfen, ist allgemein bekannt. Einzel- und Mannschaftssportler:innen können lokale Kirchgemeinden durch ihre Erfahrungen und im Sport erworbenen Kompetenzen bereichern. Umgekehrt profitieren Leistungs- und Profisportler:innen vom Rückhalt und der Ergänzung der anderen Kirchenmitglieder.

Eine Kirche, die für Sportler:innen sensibilisiert und zugänglich ist, hat darum auch gesellschaftsrelevantes Potenzial. Es wäre schade, dieses nicht zu nutzen. Wer weiß, vielleicht hat die Entfaltung solcher Möglichkeiten mit Sepp Blatter gesprochen eine Vorbildwirkung für mehr "Fairplay" beziehungsweise eine friedlichere und damit hoffentlich bessere Welt – lokal und darüber hinaus. Es wäre mindestens einen Versuch wert.

Fragen zum Weiterdenken

  • Falls Sie selbst Sportler:in sind und die beschriebenen Herausforderungen kennen: Was fordert Ihre Teilhabe in einer Kirche heraus? Was könnten Sie selbst und Ihre Kirche unternehmen, um die Situation zu verbessern? Wie könnten Kirchgemeinden für Sportler:innen und ihre Umstände zugänglicher werden? Welche Veränderungen sind aus der Perspektive von Sportler:innen dafür nötig?
     
  • Falls Sie Pfarrperson oder Mitglied einer Kirchenleitung sind: Hat Ihre Kirche die beschriebenen Probleme erkannt? Wenn ja, was unternehmen Sie bereits und könnten zusätzlich unternehmen? Wenn nein, was sind die Gründe dafür?
 

Quellen:

Blohme, Stephanie et al. (ohne Jahr). Inklusion im und durch Sport ­– Ein Praxis-Handbuch mit Erfahrungsberichten und Empfehlungen wie Inklusion im Sportverein gelingen kann, abrufbar im Internet (letzter Zugriff: 3. Februar 2025).

Jucker, Michael 2022. Glaube, Liebe, Hoffnung: Sport und Religion, Blog des Schweizerischen Nationalmuseums / Landesmuseums Zürich, 16. Dezember, abrufbar im Internet (letzter Zugriff: 3. Februar 2025).

Neues Testament Psalmen: Neue Genfer Übersetzung. 3. Auflage 2013. Romanel-sur-Lausanne, Schweiz: Genfer Bibelgesellschaft; Deutsche Bibelgesellschaft.

Noss, Peter 2019. Inklusion in Sport und Kirche, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Schmid, Christian 2007. Sport erzieht zu Solidarität und Fairplay, Interview mit Adolf Ogi, swissinfo.ch, 17. November, abrufbar im Internet (letzter Zugriff: 3. Februar 2025).

Sport ist ein Inklusionsmotor, Deutschlandfunk.de, 31. März 2019, abrufbar im Internet (letzter Zugriff: 3. Februar 2025).

Vonlanthen, Andrea 2021. Das Kreuz ist auch für viele Fussballer wichtig, Interview mit Sepp Blatter, IDEA – das christliche Wochenmagazin, 23/2021, 8-11.

 

Über den Autor: Oliver Merz, geboren 1971, ist Theologe und promovierte 2015 in Praktischer Theologie an der Universität von Südafrika (UNISA) in Pretoria. Er ist Gründer und Leiter des "Institut Inklusiv" (www.institutinklusiv.ch). Zudem wirkt er als Seelsorger in der Beratungsstelle "Sela" (www.sela.ch), ist Gastdozent, Referent, Berater, Supervisor, Gutachter und Autor. Er war auch schon als Sportpfarrer und Leiter einer konfessionellen Sportorganisation tätig. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich Diversity (Vielfalt und Verschiedenheit), Inklusion und Teilhabe in Kirche und Gesellschaft sowie Religion, Spiritualität und Gesundheit beziehungsweise Krankheit und Beeinträchtigung/Behinderung. Oliver Merz wohnt mit seiner Familie in Thun (Schweiz). Persönliche Website: www.oliver-merz.ch.

 

Foto: © Oliver Merz.

 

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